PRINT & PROXY SHAPE & MESH

In Fabian Hesses Arbeiten explodieren die Reproduktionen

Olga von Schubert, 2014

Welche Sprengkraft in einem Bauplan liegt, macht der Begriff „Explosionszeichnung“ aus dem Maschinenbau deutlich. So nennt man seit den 1940er-Jahren Zeichnungen, auf denen eine technische Konstruktion oder eine Maschine in ihre Einzelteile zerlegt dargestellt wird. Das Beispiel der ordentlich nach ihren Bestandteilen aufgeschlüsselten Fahrradnabenschaltung (Abb.1) zeigt, dass das Explosive dieser Darstellungsform nicht etwa in tatsächlich im Bildraum versprengten Segmenten liegt, sondern vielmehr in der bildlichen Transparenz eines eigentlich geschlossenen Getriebes.

849 Figure 1. Internal hub 3 speed Shimano Sears Sports Center – Scanned from a 1977 publication, published in the United States, with no copyright notice. (Owners manual for Sears bicycles 502.472684 (boys) and 502.472784 (girls), „Rev. 9-1-77“)

An ebensolchen Punkten der Intransparenz setzen Fabian Hesses künstlerische Arbeiten an. Er identifiziert Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, an denen insbesondere digitale bzw. postdigitale Technologien sich gegenüber den Nutzern verschließen und auf diese Weise Menschen beherrschen, anstatt die Wechselwirkung zwischen Mensch und Technologie erfahrbar zu machen.

Inspiriert von DIY- und Free-Software-Bewegungen, die sich gegen eine durch Patente und Copyrights beherrschte Produktentwicklung wenden, druckt Fabian Hesse mit Hilfe von 3D-Druckern komplette Bausätze für weitere 3D-Drucker aus und veröffentlicht die passenden Baupläne. Die Frage, wie sich solche Prozesse zu Verkaufsideen entwickeln lassen, stellt sich dann nicht mehr – vielmehr reproduzieren sich nicht nur die Technologien, sondern auch die veröffentlichten Ideen selbst und triggern Prozesse in einer Art Gemeinschaft von Technik, Programmieren und Entwicklern – einer Gemeinschaft also von Menschen und Dingen. In nahezu alchemistischen Prozessen materialisieren sich in Fabian Hesses Arbeiten unter anderem Bewegungs- und Kommunikationsprotokolle aus Smartphones – jene Metadaten der Kommunikation, die Geheimdienste und Firmen so sehr interessieren. In den Arbeiten YahooMail oder Open-Access-Manifesto generiert Fabian Hesse 3D-Drucke aus Datensätzen seiner Accounts, so dass private Informationen, geleakte Daten oder Texte in der Übertragung in ein anderes Medium transformiert werden. Durch die manuelle Manipulation des Druckvorgangs entstehen zudem Störmomente in der formalen Übertragung, wodurch die komplexen, zuweilen mikrogeologischen Formationen, Textilien oder Architekturmodellen ähnelnden 3D-Drucke in ihrem Aufbau Schicht für Schicht erkennbar werden.

Für seine Arbeit STUXi DefCAD verlieh der Künstler in einer un-abschließbaren Reihe von öffentlichen Lesungen dem Quellcode eines unsichtbaren, ortlosen und dadurch sehr bedrohlichen Computervirus namens Stuxnet seine Stimme und damit einen Körper. Danach bannte er Teile dieses gelesenen Codes auf das Retromedium einer Schallplatte, die dann, ausgestellt, für Besucher als individuelle Reproduktion greifbar wurde. Der 2007 entstandene Virus Stuxnet gilt als eine der ersten Cyber-Kriegswaffen und diente als Vorbild für weitere Virusvarianten wie Flame, bei denen Mikrofone und Kameras der befallenen Geräte eingeschaltet werden, ohne dass Nutzer es bemerken. Fabian Hesses Arbeit besteht darin, solche Prozesse wieder sinnlich wahrnehmbar zu machen und sie so an den Körper des Menschen rückzubinden, damit wir ihnen nicht unfrei ausgeliefert sind.

Der Philosoph Martin Heidegger beschrieb das ihn umgebende „Zeitalter der modernen Technik“ bereits in einem Vortrag mit dem Titel „Die Frage nach der Technik“ aus dem Jahr 1953 als eine Zeit, in der Menschen zwischen einer freien und einer unfreien Beziehung zur Technik zu wählen haben.1 Unfrei ausgeliefert sei der Mensch der Technik, wenn er sie als etwas Neutrales betrachte. Denn dann verbergen sich in der Technologie zum einen ihre Einzelteile und zum anderen verborgene Energien. Die Technik ist für Heidegger zwar ein Mittel zum Zweck – etwas zum Benutzen, andererseits aber ist sie auch etwas durch ihr Material, ihre Form, ihren Zweck und ihren Effekt und nicht zuletzt durch den Menschen selbst „Verfertigtes“. Der Mensch kann laut Heidegger in der Technik etwas Verborgenes „entbergen“, also Energien, die in der Technik angelegt sind, „herausfördern“ und damit auch herauszufordern, was für ihn heißt, das „Anwesende“ ins „Erscheinen“ hervorkommen lassen. Um nicht selbst bloßer Teil des „Bestands“ (ein Bestandteil also) der Technik zu werden, müsse der Mensch die Technik „betreiben“. Richard Sennetts Buch „The Craftsman“ nimmt Heideggers Spiel mit der Doppeldeutigkeit des Wortes Technik auf, das einerseits „craft“ – Handwerk – und andererseits „technology“ meint. Mit Bezug auf Heideggers Technik-Aufsatz kritisiert Sennett allerdings dessen unzureichende Vision eines „nur“ nachhaltigen Gleichgewichts zwischen Menschen und ressourcen. Sennetts Ansicht nach braucht es eine radikalere Umwertung „to change both productive procedures and rituals of use“.2 Ein solcher Wandel jedoch ist bei Heidegger angelegt in seinem Bruch mit der gängigen Vorstellung von der Verknüpfung von Technik und moderner Naturwissenschaft. Heidegger lehnt die Vorstellung ab, Technik sei angewandte Naturwissenschaft, sei die logische Folge naturwissenschaftlicher Erkenntnisse (und damit für jeden, der nicht Physik studiert hat, unverständlich). Technik ist für Heidegger vielmehr eine Möglichkeit, sich zu etwas ins Verhältnis zu setzen und geht so ihrerseits der modernen Naturwissenschaft voraus, macht moderne Technologien überhaupt erst möglich. Die Technik ist zugleich die Gefahr als auch „das rettende“ der Technologie, weil sie als Geheimnis in ihr wohnt. Sie ist für den Menschen deshalb sowohl passives als auch aktives Mittel, sich ins Verhältnis zu setzen.

Fabian Hesses in frei zugänglichen FabLabs hergestellten Objekte und Installationen versuchen, diesem Geheimnis einer der Wissenschaft vorausgehenden Technik im digitalen Zeitalter auf die Spur zu kommen. Seine Arbeiten befassen sich mit neuen Technologien, ihren Techniken und deren Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse.

Dabei ist es kein Zufall, dass Fabian Hesse seine 3D-Daten-Visualisierungen in Plastik druckt. Plastik ist laut Roland Barthes‘ „Mythen des Alltags“ von 1957 ein Material, das wie kein anderes zum imitieren dient: „es ist weniger eine Substanz als vielmehr die Idee ihrer endlosen Umwandlung“.3 Es ist dabei aber vor allem sowohl ein Produkt der Massenproduktion, als auch ein Material, das jedem einzelnen ganz individuell ein Imitat eines Originals ins Privatleben liefert. Es schlägt eine Brücke zwischen DiY, Maker Movement, Arts and Crafts Movement und der industriellen Massenproduktion – laut Florian Cramers 2013 erschienenem Aufsatz „Post-digital Aesthetics“ keine getrennten Bereiche mehr.4 Von digitalen Heimwerkern handgemachte Fanzines, Designs, Drucke und Plastiken stehen nicht mehr im Widerspruch zur industriellen Massenproduktion, die sich vielmehr auf jeden einzelnen Privathaushalt auszudehnen scheint. Das Selbstgemachte ist gleichzeitig das massenhaft reproduzierbare, das ganz individuelle gleichzeitig etwas für alle.

in solchen postdigitalen Zeiten der dezentralen und immateriellen Technologien, die sich immer weiter von der Hand des Menschen entfernen und wie Drohnen zu entfesselten, scheinbar eigenständig agierenden Akteuren werden, begeben sich technische Bestandteile, zu denen dann auch der Mensch selbst gehört, in neue Konstellationen. Sie fächern sich auf und formen energetische Felder wie bei einer in Zeitlupe abgefilmten Explosion.

Abb. 2: Standbild aus Michelangelo Antonioni’s Zabriskie Point (1970)

Die Schlussszene von Michelangelo Antonionis Film „Zabriskie Point“ von 1970 (Abb.2) etwa zeigt eine solche Explosion in Zeitlupe, die wie bei einer Kunstinstallation das gesamte Inventar einer modernistischen Villa im Raum schweben lässt. Abwechselnd sehen wir das Innere eines Kleiderschranks oder – wie in diesem Beispiel – Hummer und Orangen aus einem Kühlschrank durch die Luft fliegen.

Diese Szene aus dem psychoaktiven Revolutionsdrama Antonionis macht deutlich, dass es eine solche Art von explosionsartiger Dezentralisierung und Reproduktion ist, die verschlossenes, intransparentes wieder für das Auge sichtbar aufschlüsseln kann und auf diese Weise die zugrunde liegende Ordnung sichtbar macht. Wie auf der eingangs erwähnten Explosionszeichnung wird eine innewohnende Struktur erkennbar, die im fertigen Produkt unsichtbar geworden ist, wenn weder das Produkt und noch weniger sein Herstellungsprozess jedem Nutzer zugänglich sind. Fabian Hesses selbstausgedruckte 3D-Drucker und Datenvisualisierungen verknüpfen das Handgemachte mit dem explosionsartig reproduzierbaren und bannen so die Kraft der Explosion in eine öffentlich zugängliche Installation, die auch den Künstler selbst als kreative Instanz relativiert. Denn wenn nicht nur Technologien Reproduktionen herstellen, sondern die Technologien sich selbst reproduzieren lassen, schafft sich der Künstler als Produzent in mancher Hinsicht selbst ab, ohne das Denken vollends an die intelligente Maschine zu delegieren. Sichtbar wird ein Verschmelzungsprozess von Produktion und Reproduktion, eine Verbindung zwischen Körper und Technologie, kreativer Maschine und Künstler als printer oder proxy zwischen unterschiedlichen Servern und Netzen, den nur noch eine Explosionszeichnung aus dem Kabelsalat heraussortieren könnte.

1 Martin Heidegger, Die Frage nach der Technik, in: ders., Gesamtausgabe Bd. 7, Frankfurt am Main 1953, S. 5-36.

2 Richard Sennett, The Craftsman, new Haven 2008, p. 12f.

3 Roland Barthes, Plastik, in: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 2012, S. 223-225.

4 Florian Cramer, Post-Digital Aesthetics, in: Jeu de Paume – Le Magazine, 1. Mai 2013

Abb. 1: Owners manual for Sears bicycles 502.472684 (boys) and 502.472784 (girls), 1977, United States


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